Rhena Stürmer Zwischen Barrikade und Parlament

Die deutsche Sozialdemokratie vereinigte Anfang des 20. Jahrhunderts in ihren beiden großen Organisationen, SPD und Freie Gewerkschaft, mehr als dreieinhalb Millionen Mitglieder. Innerhalb dieser Bewegung existierten zahlreiche politische Ideen und Strömungen, was häufig zu kontroversen Diskussionen führte: Welche Rolle sollte die Sozialdemokratie in der bestehenden Gesellschaft einnehmen? Sollten Bildung und Erziehung lediglich die Kenntnisse und Fähigkeiten des Einzelnen verbessern oder nicht auch das kollektive Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse stärken? Sollte man sich gegen jeden Krieg wenden, oder gab es auch Situationen, in denen das eigene Land zu verteidigen war? Und vor allem: Wie genau sollte der Sozialismus erreicht werden? Sollte der Kapitalismus mitsamt Klassenherrschaft und Ausbeutung durch eine Revolution überwunden abgeschafft oder durch Reformen und Regierungsbeteiligung gezähmt werden?
Während des Ersten Weltkrieges und im Zuge der Novemberrevolution 1918/19 spaltete sich die Sozialdemokratie in teils unversöhnliche Lager. Die SPD übernahm schließlich die Führung in der neuen parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik und beteiligte sich auch an der gewaltsamen Niederschlagung radikalerer revolutionärer Bestrebungen. Bis zum Ende der Republik konkurrierte sie mit anderen Arbeiterparteien – darunter der KPD – um das linke Wählermilieu. Wir wollen uns gemeinsam die Debatten und Streitpunkte innerhalb der sozialdemokratischen Bewegung ansehen und eine genauere Vorstellung von den historischen Kontexten entwickeln, die ihr Denken und Handeln bestimmte.
Rhena Stürmer ist Historikerin. Sie lehrt und forscht an der Universität Leipzig u.a. zur Geschichte der Arbeiterbewegung.